Projekt: „Prekäre Provenienz – Menschliche Überreste aus dem kolonialen Erbe Afrikas vor 1919 in wissenschaftlichen Sammlungen Baden-Württembergs“
Wissenschaftlichen Sammlungen Baden-Württembergs bewahren neben einer Vielzahl an Objekten auch unbearbeitete menschliche Überreste aus Afrika auf. In unserem Verbundprojekt erforschen wir menschliche Überreste, bei denen die Vermutung besteht, dass sie aus der Zeit vor 1919 und aus Afrika stammen. Es handelt sich nach ersten Schätzungen um etwa 130 unbearbeitete menschliche Überreste, jedoch sind häufig nur rudimentäre Hinweise vorhanden, sodass die genaue Anzahl bisher nicht genau zu benennen ist. Die zugehörigen historischen Dokumente, wie Inventar- und Eingangsbücher, sind häufig lückenhaft und enthalten zum Teil pauschale Bezeichnungen wie „außereuropäisch“.
Neben Afrika kommen somit auch andere Regionen der Welt als Herkunftsorte in Betracht. Zielsetzung des Projekts ist die Bestimmung der Herkunft und die Klärung der Herkunftswege dieser menschlichen Überreste als Basis für eine Repatriierung an die jeweilige Herkunftsgesellschaft. Dabei werden historische Daten erhoben, insbesondere im Bereich der Netzwerkforschung, die für weiterführende Untersuchungen bereitgestellt werden sollen. Genutzt werden sollen auch die Potenziale, die sich aus der historisch bestehenden Verbindung südwestdeutscher Wissenschaftseinrichtungen für den Wissenstransfer ergeben.
Das Projekt „Prekäre Provenienz“
Mehrere kulturgutverwahrende Institutionen haben sich nun auf Initiative des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst zu diesem Forschungsschwerpunkt zusammengeschlossen, um in einem Verbundprojekt die Herkunft der unbearbeiteten menschlichen Überreste systematisch aufzuarbeiten. Ausgenommen sind hiervon die bearbeiteten menschlichen Überreste des Linden-Museums, wie beispielsweise eine Schädeltrommel. Gefördert wird das Projekt „Prekäre Provenienz – Menschliche Überreste aus dem kolonialen Erbe Afrikas vor 1919 in wissenschaftlichen Sammlungen Baden-Württembergs“ vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste und vom Wissenschaftsministerium. Die Federführung liegt beim Museum der Universität Tübingen MUT, weitere Projektpartner sind die Osteologische Sammlung der Universität Tübingen, das Linden-Museum Stuttgart, das Staatliche Museum für Naturkunde Stuttgart sowie das Staatliche Museum für Naturkunde Karlsruhe. Assoziierter Partner des Projekts sind die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau und das Arnold-Bergstraesser-Institut für kulturwissenschaftliche Forschung e.V. (ABI).
In unserem Projekt erheben wir historische Daten, insbesondere im Bereich der Netzwerkforschung. Bei dieser Grundlagenforschung werden zunächst die erhaltenen Informationen, Akten, Inventarbücher und Archivalien in den Blick genommen und die ehemaligen Netzwerke erforscht. Genutzt werden auch die Potenziale, die sich aus der historisch bestehenden Verbindung südwestdeutscher Wissenschaftseinrichtungen für den Wissenstransfer ergeben.
Das Forschen im Verbund birgt dabei in vielerlei Hinsicht großes Potenzial: So ermöglicht der Wissenstransfer zwischen den beteiligten Institutionen die Bildung von Synergien. Recherchen erfolgen koordiniert und strukturiert für zeitgleiche und herkunftsübereinstimmende Gruppen, wodurch doppelte Recherchen vermieden und Ressourcen gebündelt werden. In den Unterlagen der Projektpartner sind ergänzende Informationen zu den Sammlungen der Projektpartner zu erwarten, ebenso wie Hinweise zu menschlichen Überresten, die sich nacheinander in mehreren Beständen befunden haben. Auch zur Erforschung der Akteur:innen und zur Rekonstruktion ihrer Netzwerke bietet der Verbund einen idealen Ausgangspunkt.
Projektbeginn war am 1. September 2021. Die erste Projektphase ist auf ein Jahr angelegt, mit der Option einer Verlängerung bis zu insgesamt drei Jahren. Am 27. Oktober 2021 fand auf Schloss Hohentübingen die erste Arbeitssitzung statt.
Projektförderung
Gefördert wird das Projekt vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste und und mit Fördermitteln des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg.


Projektpartner

Museum der Universität Tübingen MUT
Am Museum der Universität Tübingen MUT wird das Thema Provenienzforschung bereits seit mehreren Jahren in Lehre und Forschung in den Blick genommen. Im Jahr 2015, und somit 70 Jahre nach Kriegsende, wurde eine Studium-Generale-Reihe zum Thema ins Leben gerufen.

Linden-Museum
Das Linden-Museum mit seiner Direktorin Prof. Dr. Inés de Castro ist bundesweiter Pionier im Umgang mit kolonialem Erbe. Es gehört unter anderem zu den 25 Piloteinrichtungen, die seit dem 30. November 2021 ihr Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten auf dem Portal der Deutschen Digitalen Bibliothek DDB online verfügbar machen („Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“).

Osteologische Sammlung Tübingen
Die Osteologische Sammlung der Universität Tübingen ist eine Forschungs- und Lehreinrichtung zur Untersuchung menschlicher Skelettreste aus archäologischen Ausgrabungen. Die Sammlung wurde Anfang der 1920er Jahre als kleine Privatkollektion gegründet und später durch Funde der Universität und des Denkmalamtes erweitert.

Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart
Das große wissenschaftliche Interesse an menschlichen Knochen hat vor 100–150 Jahren auch die anthropologische Sammlung des Naturkundemuseums Stuttgart stark anwachsen lassen. Private Sammler, Kolonialbeamte und Anthropologen gaben entweder direkt oder über das Linden-Museum Stuttgart menschliche Gebeine an das SMNS weiter.

Staatliches Museum für Naturkunde Karlsruhe
In den Beständen der zoologischen Sammlungen des Naturkundemuseums Karlsruhe befindet sich auch eine Wirbeltiersammlung. Diese umfasst wissenschaftliche Belege und Schaupräparate von Fischen, Amphibien, Reptilien, Vögeln und Säugetieren aus aller Welt, wobei Säugetierschädel aus Westafrika, Vögel- und Säugtierbälge aus Ostafrika sowie die Belegsammlung von Kleinsäugern und Fledermäusen aus Baden-Württemberg von besonderer Bedeutung sind.
Assoziierte Partner
Die assoziierten Projektpartner aus Freiburg haben sich zu einem gemeinsamen Projekt zusammengeschlossen, das ebenfalls vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gefördert wird und stark auf Netzwerkforschung ausgerichtet ist. Auch dort stehen die menschlichen Überreste aus Afrika im Mittelpunkt. Am Projekt beteiligt sind das Universitätsarchiv und das Uniseum Freiburg (Prof. Dr. Dieter Speck), das Arnold-Bergstraesser-Institut für kulturwissenschaftliche Forschung e.V. (ABI) (Prof. Dr. Andreas Mehler), das Afrikazentrum (ACT) in Freiburg (Dr. Annika Hampel, Dr. Anika Becher) und die Abteilung für Biologische Anthropologie der Medizinischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (Prof. Dr. Ursula Wittwer-Backofen). Im dortigen Projekt wird zudem ein externer Beirat von Personen aus den Herkunftsgesellschaften ins Leben gerufen, der in regelmäßigen Abständen über den Projektverlauf informiert wird und diesen kritisch und aus der lokalen Perspektive heraus begutachtet.



Datenbank zur Netzwerkforschung
Die innerhalb des Projekts recherchierten Daten zu Personen, Institutionen und Netzwerken aus der Zeit bis 1919 im kolonialen Kontext, insbesondere bezüglich menschlicher Überreste aus Afrika, sollen allen Interessierten zur Verfügung gestellt werden. Sie enthalten die üblichen Datenstandards, wie die GND-Nummer, Geonames oder kontrolliertes Vokabular/Thesauri.
Vorträge/Interviews
- Interview von Studierenden des Workshops „MUT zur Herkunft. Workshop zur Provenienzforschung für Jugendliche“ mit Professor Dr. Ernst Seidl, Annika Vosseler und Dr. Fabienne Huguenin.
- Fabienne Huguenin: „The Museum of the University of Tübingen MUT“, Collecting Central Europe, University Collections Workshop with Urszula Bończuk-Dawidziuk, Fabienne Huguenin and Sofia Talas (online), 23. November 2021.
- Ernst Seidl/Fabienne Huguenin: „MUT zur Recherche. Das Museum der Universität Tübingen und sein Umgang mit prekären Provenienzen“, Tübinger Science Day 2021, Schloss Hohentübingen, Rittersaal, 2. Juli 2021.
Berichterstattung zum Projekt
- News des MUT, 17.05.2022: Dreisprachige Projektseite online
- News des MUT, 13.04.2022: Zum Tag der Provenienzforschung
- News des MUT, 06.12.2021: MUT zur Herkunft
- News des MUT, 01.11.2021: Prekäre Provenienz
- News des MUT, 20.09.2021: Verstärkte Recherche
- News des MUT, 10.07.2021: Science Day 2021
Lehrveranstaltungen
- Fabienne Huguenin: Hauptseminar „Einführung Provenienzforschung“ (WS 2021/2022)
- Fabienne Huguenin: Hauptseminar „Einführung Provenienzforschung“ (SoSe 2022)
- Annika Vosseler/Fabienne Huguenin: Praxisseminar „Provenienzforschung – aber wie? Transkription, Metadatenerfassung, Netzwerkforschung“ (SoSe 2022)
Weitere Aktivitäten
- AK Provenienzforschung Baden-Württemberg
- Netzwerk Koloniale Kontexte
- AG internationale Kooperation
- AG Forschungstools
- AG Thesauri
- AK Provenienzforschung
- AG Koloniale Provenienzen
- UAG menschliche Überreste