Die Sammlung islamischer Münzen der Universität Tübingen an der Forschungsstelle für Islamische Numismatik (FINT) wächst von Jahr zu Jahr – dabei gehört sie längst zu den drei größten weltweit. Ganz aktuell freut sich die FINT und mit ihr das MUT über eine großzügige Schenkung aus Italien, welche es verdient hervorgehoben zu werden: Carlo Bari, ein vielseitig talentierter und interessierter Bürger der malerischen Stadt Como, überließ der Uni Tübingen Ende September 2023 seine vorzügliche Spezialsammlung tabaristanischer Hemi-Drachmen – insgesamt 124 Silbermünzen. Tabaristan (heute vor allem: Mazandaran) ist eine historische Region im Süden des Kaspischen Meeres, also in Nordiran, geprägt vom Alborz-Gebirge mit seinen dichten, feuchten Wäldern. In diesem schwer zugänglichen Gebiet vermochten sich seit jeher eigenständige Herrschaften, uralte Traditionen und kulturelle Besonderheiten zu behaupten – Minderheiten fanden hier eine Operationsbasis und imperiale Mächte scheiterten in der Regel daran, das Land von außen zu erobern und es sich als Provinz einzuverleiben. So konnte Tabaristan nach der Eroberung des Sasaniden-Reiches durch die Araber im 7. Jh. auch lange Zeit nicht dem Islam unterworfen werden. Es war nicht Teil des riesigen Umayyaden-Reiches, sondern wurde von einheimischen Fürsten gehalten, welche dem Zoroastrismus anhingen und, arabische Heere wiederholt zurückschlagend, dem Kalifat höchstens tributpflichtig waren.
Die tabaristanische Dynastie der Dabuyiden, welche den Herrschertitel ispahbad führte, ist uns durch die Münzprägung dreier aufeinanderfolgender Fürsten der ersten Hälfte und der Mitte des 8. Jh. bekannt. Deren (entsprechend kleine) Halb-Drachmen (mit einem Geweicht von etwas über 2 g) sind charakteristisch für Tabaristan und zeigen wie die vollen Drachmen der Sasaniden auf der einen Seite eine Herrscherbüste und auf der anderen einen Feueraltar. Die Legenden sind mittelpersisch (Pahlavi-Schrift) und enthalten den Herrschernamen, die Münzstättenbezeichnung Tabaristan (gemeint sein dürfte die Hauptstadt Amul) sowie das genaue Prägejahr nach einer eigenen Ära (gezählt ab 651 A.D.). Hieran änderte sich auch wenig, nachdem es den Muslimen 761 schließlich doch gelungen war, die Dabuyiden zu beseitigen und Teile Tabaristans unter abbasidische Herrschaft zu stellen. Anstelle der einheimischen ispahbads wurdenauf den traditionellen Hemi-Drachmen nun Gouverneure der Abbasiden-Kalifen genannt, wobei arabische Inschriften die mittelpersischen ergänzten, aber ganz nicht verdrängten. Nicht wenige der muslimischen Gouverneure Tabaristans sind uns sogar ausschließlich dank ihrer Münzen bekannt und an mehreren Stellen werfen die numismatischen Datenreihen nach wie vor knifflige Forschungsfragen auf. Nur an wenigen „Spezialtypen“ lassen sich interessante Veränderungen des traditionellen Designs beobachten, ehe die auf die Region beschränkte Prägung von Hemi-Drachmen – die Araber sprachen von Tabari-Dirhams – schließlich im frühen 9. Jh. auslief.
Die wohlgeordnete und vorbildlich dokumentierte Sammlung Carlo Baris enthält sowohl Münzen der Dabuyiden als auch die fast aller (ca. 18) muslimischen Gouverneure, darunter einige besonders seltene Typen und Varianten. Die Schenkung stellt auch deshalb eine hochwillkommene Ergänzung des Bestands an der FINT dar, weil sie gut zum hiesigen Iran-Schwerpunkt passt und den Bereich der sog. arabisch-sasanidischen Münzen verbessert, welcher schon in der großen, 1988 für die Uni Tübingen erworbenen Sammlung S. Albums stark unterrepräsentiert war. Die persönlich vom Comer See nach Tübingen geholten Münzen werden nun vom FINT-Kustos nach und nach inventarisiert und in die systematische Sammlung integriert, sodass sie künftig für Forschung und die universitäre Lehre zur Verfügung stehen; konservatorische Arbeiten sind bereits erfolgt. Die professionelle, dauerhafte Betreuung der Tübinger Sammlung sowie deren wissenschaftliche Nutzung waren es auch, welche für Carlo Baris Entscheidung ausschlaggebend waren, schon seit mehreren Jahren eine Schenkung zugunsten der FINT zu planen. Hierfür sei ihm an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich gedankt!