Beim Schatz des Monats Mai 2023 handelt es sich um eine Bronzemünze (Nr. 21) aus dem 2. Jh. n. Chr. mit der Tübinger Inventarnummer II 1692/106c. Das Stück wurde im April 1893 aus dem Pariser Münzhandel für die Tübinger Sammlung erworben.
Die Münze hat einen Durchmesser von knapp 30 mm, wiegt 14,67 g und stammt aus der Prägestätte Alexandria in Ägypten, das zur Zeit der Herstellung des Objektes eine römische Provinz war.
Auf der Vorderseite sehen wir die mit einem Militärmantel drapierte Büste des Kaisers Hadrian mit einem Lorbeerkranz. Die Umschrift ΑΥΤ ΚΑΙϹ ΤΡΑΙΑΝ ΑΔΡΙΑΝΟϹ ϹЄΒ benennt die volle Titulatur des Kaisers in altgriechischer Schrift: Imperator Caesar Traianus Hadrianus Augustus. Die Rückseite zeigt ein turmartiges Gebäude, auf dessen oberen Abschnitt mehrere Figuren zu erkennen sind. Links und rechts von dem Bauwerk sind die Buchstaben L und ΙΖ beigefügt. Dabei handelt es sich um die Jahreszählung (ähnlich der Angabe auf unseren modernen Geldstücken), die uns darüber informiert, dass diese Münze im 17. Herrschaftsjahr des Kaisers Hadrian, also im Zeitraum 132/133 n. Chr., geprägt wurde.
Was soll nun dieses eigenartige Gebäude darstellen, bei dem wir an dessen unterem Abschnitt eine Art überdimensionale Eingangstür oder Fenster erkennen können? Bei dem Bauwerk handelt es sich um den berühmten Leuchtturm von Alexandria, der in den ersten Jahrzehnten des 3. Jh. v. Chr. durch den Architekten Sostratos von Knidos im Auftrag des ptolemäischen Königs erbaut wurde. Nach dem Standort an der der Hafenbucht vorgelagerten Halbinsel Pharos auch Pharos von Alexandria genannt, galt der Leuchtturm als eines der sieben Weltwunder der Antike. Mit einer über 100 m rekonstruierten Höhe überragte der Bau die gesamte Bucht mitsamt der antiken Weltmetropole Alexandria und muss von weit her zu sehen gewesen sein.
Auf der Münze sind auf der oberen Plattform des Turms, wo das Leuchtfeuer zu lokalisieren ist, Fabelwesen mit Fischschwänzen angebracht, die Hörner blasen, welche Meeresschnecken entsprechen; als krönender Abschluss ist eine Statue, vielleicht des Kaisers oder des Göttervaters Zeus, abgebildet.
Nachdem das Bauwerk noch bis in nachantike Zeit überdauerte und sogar von arabischen Quellen beschrieben wurde, verfiel der Turm durch Erdbebenschäden ab dem 10. Jh. zunehmend bis im 15. Jh. Aus den Resten des Baumaterials an der ehemaligen Basis des Turms von dem Mameluken-Sultan Kait-Bay wurde die gleichnamige Festungsanlage errichtet. Anhand des Münzbildes sehen wir, dass dieses Bauwerk – als es in voller Pracht und Blüte stand – die antiken Zeitgenossen enorm beeindruckt haben muss; ein wahres Leuchtturm-Projekt eben.
Die Münze ist auch im Digitalen Münzkabinett des Instituts für Klassische Archäologie virtuell zu besichtigen.
Prof. Dr. Stefan Krmnicek