Beim Schatz des Monats Juni 2023 handelt es sich um das Schnitzwerk, Toktok, aus dem Malanggan-Totenritual.
Malanggan beschreibt sowohl Kulturen im Norden und Osten von Neuirland, dem heutigen Teil von Papua-Neuguinea (Melanesien), als auch ihre Totenrituale und Schnitzkunst, die besonders in den 1920er Jahren erforscht wurden und bis heute durchgeführt werden. Skulpturen wie diese, aber auch Masken und Fresken, spielen besonders im finalen Totenritual eine große Rolle. Im Rahmen dieser Feierlichkeiten werden all diejenigen Clanmitglieder, die seit dem letzten Ritual verstorben sind, indem Statuen geschnitzt werden, die ihre Clan-Zugehörigkeit verkörpern. Der abgebildete Toktok (regional auch labui oder maramarua genannt) zeigt eine männliche Person, mit gebeugten Beinen und einem Lendenschurz. Um den Körper windet sich eine Schlange und am Bauch ist ein Fisch dargestellt.
Das finale Totenritual dauert mehrere Tage und umfasst neben den Schnitzereien auch Tänze und Opfergaben an die Verstorbenen. Während der Feierlichkeiten werden Toktoks in die Erde vor den sogenannten Malanggan-Häusern gesteckt, die mit weiteren Schnitzereien, wie Friesen verziert sind. Die genaue Größe der Häuser variiert zwischen Gruppen und Zeiten; die bis in die heutige Zeit populärste Form ist drei Meter hoch und besteht aus Wänden aus Pandaublättern. Auch die Figuren in der Ausstellung des MUT sind von diesen Blättern umgeben.
Am Morgen des letzten Tages, wenn die Sonne aufgeht, sind die Verstorbenen auf ihrem Weg in die Unterwelt. Dort angekommen sind die Lebenden und die Toten von allen Verpflichtungen zueinander befreit. Damit haben die auch die Malanggan Schnitzereien auch ihre Funktion erfüllt und werden der Verrottung überlassen. Es beginnt die Neuverteilung ihres Besitzes und die Neuorganisation der Gruppe in Abwesenheit der Verstorbenen. Dabei werden besonders Landrechte, aber auch Rechte an Malanggan-Designs weitergegeben.
Aufgrund ihrer zeitlich begrenzten Verwendung ist nicht das Material der Toktoks, sondern das Design von Bedeutung. Designs wie in den Toktoks finden sich auch in den Fresken und Figuren, die in den gleichen Häusern ausgestellt werden, wieder. Bestimmte Designs symbolisieren bestimmte Clans, und werden am Ende der Totenfeierlichkeiten weitergegeben. Rechte an vielen Designs zu haben steht in den Gemeinschaften für Ansehen.
Malanggane haben in der ethnologischen Forschung eine lange Geschichte, besonders da sie als Beispiel dafür stehen, wie Bilder als Objekte soziale und politische Beziehungen verkörpern, abbilden und beeinflussen. Diese Idee wird heute auf Fotographie, oder sogar Patente und Urheberrechte angewandt. Außerdem haben sich europäische Künstler*innen des frühen zwanzigsten Jahrhunderts von Malanggan-Schnitzereien visuell inspirieren lassen, was die Ausstellung im MUT weiter beleuchtet.
In heutigen ethnographischen Sammlungen finden sich sehr viele Malanggan-Objekte, die von allen möglichen Reisen und Expeditionen nach Europa und Deutschland gebracht worden sind. So auch diese Figur: Sie wurde 1932 von Augustin Krämer dem ethnologischen Institut der Universität Tübingen vermacht. Krämer nahm zwischen 1895 und 1910 an mehreren Expeditionen der Deutschen Marine in die deutschen Kolonien im Pazifik teil. Sein Interesse an Malanggan Ritualen bewegte ihn dazu, mehrere Orte in der deutschen Kolonie Neuirland (Neumecklenburg, 1885–1914) zu besuchen. Auf seiner Reise sammelte Krämer neben Informationen auch viele Schnitzereien, die vor allem an die ethnologischen Museen in Hamburg, Berlin und Stuttgart vergeben wurden, doch zuletzt auch an die Universität Tübingen gelangten. Er überlies große Teile seiner Sammlung dem ethnologischen Institut, und so fand diese Schnitzerei, zusammen mit Masken und Fresken auch ihren Weg in die MUT-Ausstellung.
Aufgrund ihrer kurzen Verwendung im Totenritual waren Malanggan-Objekte besonders beliebte Sammelobjekte und wurden lange als unbedenklich angesehen. So sammelten viele Forschende und Reisende Figuren aus den Wäldern auf, die dort zum Verrotten lagen. Andere kauften oder tauschten die Figuren auch vor Ort. Der Verkauf von Malanggan an Europäer*innen wurde laut Ethnographien durch die lokale Bevölkerung als ein neuer Weg der Zerstörung der Figuren gesehen, und das Geld zur Weiterführung der Tradition verwendet. Doch nicht alle Malanggan-Objekte sind auf unbedenklichem Weg in europäische Museen gelangt; in mindestens einem Fall ist belegt, dass Teilnehmende einer Strafexpedition Malanggan-Figuren aus einem Malanggan-Haus stahlen, ehe die Rituale beendet waren. Deshalb sind nicht alle Objekte als unbedenklich einzustufen, auch da es wenig Informationen darüber gibt, wie die Herkunftsgesellschaft dem Sammeln und Bewahren der Toktok in Museen gegenüberstanden und -stehen.
Die Ausstellung im Weltkulturen-Museum des MUT zeigt zudem vier weitere Toktoks und stellt sie in Bezug zu Europäischen Modernen-Künstlern. Die Öffnungszeiten des Museums „WeltKulturen“ finden Sie auf dem Internetauftritt des MUT.