Beim Schatz des Monats Juni 2023 handelt es sich um eine Bronze-Medaille, die Georg Friedrich Grotefend (1775–1853) zeigt und ehrt. Einen Gelehrter, dessen Scharfsinn dazu beigetragen hat, das Wissenschaftsgebiet der Altorientalistik aus der Taufe zu heben.
Im Vorderen Orient war seit etwa 3000 v.Chr. eine Schrift in Gebrauch, deren Zeichen in feuchten Ton gedrückt wurden, und die man, wegen der charakteristischen Form dieser Zeichen heute als „Keilschrift“ bezeichnet. Diese Schrift starb in den ersten Jahrhunderten nach Chr. aus und geriet in Vergessenheit, bis europäische Reisende im 17. und 18. Jahrhundert auf sie aufmerksam wurden. Besondere Bedeutung kam dabei dem antiken Persepolis im heutigen Iran zu, wo Keil-Inschriften, in Stein gemeißelt, noch immer offen sichtbar waren. Mehrere Besucher dieser Ruinenstätte haben diese Inschriften beschrieben, man hat sogar erkannt, dass man es in Persepolis gleich mit mehreren unterschiedlichen Schriftsystemen zu tun hatte, die sich nur der äußeren Form nach ähnelten – was die Sache nur um so komplizierter machte. Doch selbst nachdem der dänische Forschungsreisende Carsten Niebuhr (1733-1815) die von ihm 1765 angefertigten exakten Kopien der Persepolis-Inschriften im Jahre 1777 veröffentlicht hatte, schien der Versuch der Entzifferung wenig aussichtsreich zu sein – bis zu jenem Julitag des Jahres 1802, an dem der Gymnasiallehrer und Rätselfreund Georg Friedrich Grotefend bei einem Spaziergang in Göttingen mit dem damaligen Sekretär der königlichen Bibliothek zu Göttingen in einen Streit darüber geriet, ob es möglich sei, eine Inschrift zu entziffern, von der weder Sprache noch Inhalt bekannt sind. Als Grotefend behauptete, dass dies möglich sei, meinte der Bibliothekssekretär, er könne dies am besten dadurch beweisen, dass er eine der Keilschriften entziffere. Grotefend nahm die Wette an, und nachdem ihm die königliche Bibliothek die notwendigen Unterlagen zur Verfügung gestellt hatte – darunter vor allem den Reisebericht von Carsten Niebuhr, der seine in Persepolis angefertigten Kopien enthielt – wandte sich Grotefend jener Keilschrift zu, die den geringsten Bestand an unterschiedlichen Zeichen aufwies. Obgleich er keine Kenntnis in orientalischen Sprachen besaß, gelang es ihm, allein auf der Basis scharfsinniger Überlegungen, wenigstens den Inhalt der Inschriften innerhalb von nur sechs Wochen zu erschließen.
Da ihm bekannt war, dass die Inschriften aus Persepolis stammten, kamen als Bauherren nur altpersische Könige in Frage, deren Namen er aus der antiken Überlieferung kannte. Grotefend vermutete zum einen, dass Darius I. der Auftraggeber der Inschriften war, die er entziffern wollte, und zum anderen, dass dieser König dieselben Herrschertitel führte wie die späteren Sassanidenkönige, deren Titulatur man aus Inschriften des 3. Jhs n.Chr. kannte. Er gewann seine Wette, weil sich seine beiden Grundannahmen als zutreffend erwiesen. Ein erster Ergebnisbericht wurde der Öffentlichkeit im September 1802 bekanntgemacht, doch sollte es bis zum Jahre 1847 dauern, bis unter Mitarbeit zahlreicher weiterer Gelehrter für jedes einzelne der 37 Schriftzeichen ein Lautwert bzw. eine Bedeutung ermittelt war.
Da sich Grotefend die altpersische Keilschrift ausgesucht hat, um seine Wette zu gewinnen, hätte er mit den im Schloss Hohentübingen ausgestellten Keilschrifttexten nichts anfangen können, da diese in der sehr viel komplizierteren, aus vielen hundert Zeichen bestehenden mesopotamischen Keilschrift geschrieben sind. Die Entzifferung dieser Schrift, die gleichfalls in Persepolis vertreten war, blieb anderen vorbehalten. Grotefend hat sich jedoch 1802 einen Platz als Pionier der Keilschriftforschung gesichert, weil er erstmals einen Weg gewiesen und gezeigt hat, dass die Entzifferung einer Keilschrift tatsächlich möglich war. Mit der im Schlossmuseum ausgestellten Medaille wurde Grotefend am 2. Februar 1848 anlässlich seines goldenen Dienstjubiläums geehrt. Er war mittlerweile Direktor der Schule, an der er als Lehrer tätig war.